Wider das Vergessen!
 

Meine Heimatstadt

Neidenburg, poln. Nidzica, an dem kleinen Flüsschen Neide, etwa auf dem Schnittpunkt 53° 21' nördl. Breite und 20° 25' östl. Länge gelegen, war die südlichste Kreisstadt Ostpreußens. Der westliche Teil des Neidenburger Kreisgebietes  gehörte vor 900 Jahren zu der altpreußischen Landschaft Sassen und der Ostteil zum Siedlungsgebiet des preußischen Stammes der Galinder. Die sogenannten Wildhäuser Neidenburg und Soldau (1306) galten als einsame Vorposten der Ordensmacht. Neidenburg bildete anfangs den Südteil der Komturei Christburg und wurde 1340 der neu gegründeten Komturei Osterode zugeordnet. Eine erste Deutschordensburg war schon zwischen 1266 und 1268 angelegt und erstmals 1376 als NEIDENBURG erwähnt worden. Um die Burg sammelten sich Handwerker und später Kaufleute. Die Stadtkirche, deren Turm nach pomesanischem Brauch an die Seite des Schiffes angebaut war, soll um 1380 entstanden sein. Am 7. Dezember 1381 verlieh Hochmeister Winrich von Kniprode dem Ort das  Stadtprivileg. Die Urkunde ging verloren und wurde 1420 von Hochmeister Michael Küchmeister nach kulmischem Recht erneuert. Im Jahr 1389 war Neidenburg Sitz des Städtetages, und viele Würdenträger mit großem Gefolge waren in der Stadt erschienen. Wie in fast allen masurischen Städten wurde die ursprünglich deutsche Bevölkerung nach der Schlacht bei Tannenberg (1410) durch Zuzug von Polen verändert. 1444 trat die Stadt dem Preußischen Bund bei und sagte sich 1453 vom Orden los. Beim Zweiten Thorner Frieden kam sie 1466 nach 14jähriger polnischer Besetzung zum Orden zurück. Als der Hochmeister Albrecht, Markgraf von Brandenburg, am 8. April 1525 erster weltlicher Herzog von Preußen wurde, zog die Reformation auch in Neidenburg ein. Die erste Schützengilde stammte aus dem Jahr 1544. Im Jahr 1549 holte Herzog Albrecht Böhmische Brüder als Siedler in die Stadt. 1573 gab es bereits eine Lateinschule in Neidenburg und 1579 wurde hier die erste öffentliche Mädchenschule in Masuren gegründet. Bei den Tatareneinfällen 1656 wurde die Stadt durch einen Zufall gerettet. Die Stadtchronik berichtet von einem Bürger Nowak, der gelangweilt an einer der Kanonen in der Burg Wache hielt und die Belagerer an dem großen Findling (später Tatarenstein benannt) auf den Feldern südlich der Burg beobachtete. Er feuerte eine Kugel auf die Tataren ab, traf ihren Anführer, und die Horden flüchteten panikartig. In der Nähe des Tatarensteins fand man eine vorgeschichtliche Grabstätte mit Fürstengräbern. Von 1717 bis 1794 war Neidenburg Garnisonstadt. In der Zeit von 1730 bis 1785 genoss die Neidenburger Knabenschule über ihre Grenzen hinaus einen hervorragenden Ruf. Hierher kamen viele Schüler, sogar aus  Danzig, Königsberg und Elbing, um die polnische Sprache zu erlernen und später einem kaufmännischen Beruf in Elbing, Kowno oder Danzig nachzugehen. Nach der Verwaltungsreform von 1736 gehörten zum Landrätlichen Kreis Neidenburg die sechs Ämter Neidenburg, Soldau, Willenberg, Ortelsburg, Mensguth und Friedrichsfeld. Die Städte Neidenburg, Soldau, Ortelsburg, Passenheim, Willenberg, Hohenstein und Gilgenburg wurden zum "Stadtkreis Neidenburg" zusammengefasst. Während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) war Neidenburg von 1758 bis 1760 von den Russen besetzt. Im Süden der Provinz Ostpreußen nahm Neidenburg für sich den Ruf einer weit über die Grenzen hinaus bekannten Töpferstadt in Anspruch. Die Akten der Töpferinnung gehen auf das Jahr 1759 zurück. Im früheren Neidenburger Heimatmuseum (auf dem Platz der in der "Reichskristallnacht" niedergebrannten Synagoge) waren Ofenkacheln aus dem Jahr 1794 ausgestellt. Die Neidenburger Kachelfabrik am Bahnhof wurde im Jahr 1837 gegründet. (Zu den schönsten Kachelöfen weit und breit gehörte wohl der in unserem Wohnzimmer in der Kachelfabrik. Mein Vater hatte sein Meisterstück gewissermaßen als "Ausstellungsstück" hergestellt und in der Grundfarbe weiß glasiert und mit vielen Motiven und Bildern in blau und braun bemalt. Besonders das Neidenburger Wappen - Der wilde Mann mit Schwert und Lilie - auf der einen Seite und das Tannenbergdenkmal auf der anderen habe ich oft betrachtet und immer wieder bewundert. Viele Besucher aus nah und fern, die dieses töpferische Kunstwerk häufig besichtigten, wollten es unbedingt kaufen. Wo mag dieses Schmuckstück von einem Kachelofen, von dem es leider kein Foto gibt, wohl geblieben sein? Vielleicht haben ihn die sowjetischen Truppen im Januar 1945 zerstört oder demontiert. Vielleicht wurde er aber auch später abgebaut und irgendwo wieder aufgestellt.) Schon zur Ordenszeit soll die Stadt eine Brauerei gehabt haben. Ziegeleien, eine Kachel- und Tonwarenfabrik und Ofensetzereien gehörten zu der wenigen Kleinindustrie in der Stadt. 1772 wurde Neidenburg Hauptort des Kreises. Am 24. November 1806 weilte König Friedrich Wilhelm III. in der Stadt. Im Dezember 1806 besetzten französische Truppen die Stadt. Mit der Neueinteilung der Kreise in der Provinz Ostpreußen im Jahr 1818 kam der Kreis Neidenburg mit den Städten Neidenburg und Soldau zum Regierungsbezirk Königsberg. Von 1829 bis 1830 wurde die Burg vollständig erneuert, und Ende der 1840er Jahre erfolgte der Abbruch der alten Stadtmauer, bis auf kleine Reste am Fuße des Schloßbergs nahe der Burgstraße und Ecke Mauerstraße - Schulstraße. Seit 1862 hatte die Stadt ein Gymnasium und eine höhere Mädchenschule. Im Jahr der Kaiserkrönung (1871) wurde das Johanniter-Kreiskrankenhaus eingeweiht. Am 1.12.1880 wurden im Kreis Neidenburg 57379 Einwohner auf 1632 Quadratkilometern gezählt, davon 48498 Protestanten, 8111 Katholiken, 697 Juden und 73 anderer Konfessionen. Am 1. Oktober 1888 wurde die Eisenbahnstrecke Hohenstein-Neidenburg-Soldau und im Jahr 1900 die Eisenbahnstrecke Neidenburg-Ortelsburg eröffnet. Seit 1905 gehörte der Kreis Neidenburg zum neugeschaffenen Regierungsbezirk Allenstein. 
In den Tagen vom 23. bis 30. August 1914 verhinderte die Tannenbergschlacht den Vormarsch der russischen Truppen in Ostpreußen. Die Stadt Neidenburg lag im Kampfgebiet. Durch die Kampfhandlungen wurden rund 225 Gebäude zerstört. Im Kreis Neidenburg zeugten 61 Friedhöfe und Grabstätten von den Opfern, die dieser Krieg hier gefordert hatte. Viele Menschen sind von den Russen verschleppt worden. 

Der Oberbefehlshaber der Narew-Armee, General Alexander Wasiljewitch Samsonow, logierte für kurze Zeit in dem renommierten Neidenburger Hotel "Neureiter", bevor er am 30. August 1914 in der Nähe von Willenberg seinem Leben ein Ende setzte. Das Hotel stand bis 1945 auf der Ostseite des Marktes rechts neben dem Rathaus Ecke Windgasse. Zum Andenken an den Sieg von Tannenberg wurde 1927 an der Strecke von Neidenburg nach Hohenstein das Tannenbergdenkmal  errichtet, in dem Generalfeldmarschall von Hindenburg 1934 seine letzte Ruhestätte fand. Es wurde 1935 von Hitler in "Reichsehrenmal Tannenberg" umbenannt.
Am 11. Juli 1920 fand im südlichen Ostpreußen unter Leitung einer interalliierten Kommission eine Volksabstimmung statt, bei der auf 97,8 % der abgegebenen Stimmzettel das Wort "Ostpreußen" stand. Neidenburg blieb natürlich auch von den Machtkämpfen der Parteien, insbesondere der NSDAP, nicht verschont. Kundgebungen, Versammlungen und Umzüge fanden überall statt. Adolf  Hitler selbst,1932 zu einem Kurzbesuch in Neidenburg, erlebte am 19. April 1932 in Lyk (nordöstlich von Neidenburg) seine "Masurische Offenbarung" und genoss eine ungeheure Popularität.Er war für sie der langersehnte "starke Mann", der, wie viele hofften, die Arbeitslosigkeit (7 Millionen !!!) und das "Versailler Schand-Diktat" beseitigen, Deutschland wieder zu einem mächtigen Reich machen und für Ordnung und Sicherheit sorgen würde. Dass seine braunen Schergen Straßenkämpfe und Saalschlachten mit politischen Gegnern veranstalteten, die ihrerseits auch nicht vor Gewalttaten zurück schreckten, sahen viele nur als Übergangserscheinungen an. Die Wahlergebnisse für die NSDAP lagen in Ostpreußen weit über 50 Prozent und in Neidenburg sogar bei 92 %. Aber auch der Naziterror und die Schreckensereignisse des anfangs so jubelnd begrüßten "Dritten Reiches" sind Neidenburg nicht erspart geblieben. Jahrhunderte lang lebten Neidenburger Bürger mehr oder weniger friedlich mit- und nebeneinander, ob Deutsche oder Polen, ob Christen, Juden oder Andersgläubige. Die NS-Propaganda und der Naziterror machten plötzlich Nachbarn und sogar Freunde zu "Volksfeinden" und "Untermenschen". So brannte auch in Neidenburg die Synagoge in der "Reichskristallnacht" vom 9. zum 10. November 1938, und viele Menschen mussten mit ansehen, wie ihre jüdischen Mitbürger terrorisiert, abtransportiert und umgebracht wurden. "Im ostpreußischen Neidenburg sagt der Kreisleiter (Richard Liedtke) zu den SA-Leuten bei der Befehlsausgabe:das Grenzlandmuseum einst die Synagoge»Ihr braucht die Juden nicht so sanft anzufassen!« Aus der Gruppe kommt der Ruf: »Blut ist geflossen, Blut muß fließen!«, während SA-Dolche demonstrativ geschärft werden. Zwei Juden werden erstochen, mehrere durch Messerstiche schwer verletzt" (Mairgünther, W.: REICHSKRISTALLNACHT, Kiel 1987). Erst 24 Jahre später sollen vor dem Paderborner Landgericht einige dieser Verbrechen geahndet werden. Die Masse des weniger gebildeten Volkes war zweifellos unterschwellig antisemitisch, teils aus Unkenntnis des jüdischen Glaubens und der jüdischen Lebensart, teils aus Angst vor dem Unbekannten - das hat sich bei vielen Menschen bis heute nicht geändert! - aber auch aus Neid auf die angeblich so wohlhabenden Juden, und schließlich aus religiösen Motiven - "weil sie doch unseren Gottessohn gekreuzigt haben". Jetzt galt: "Führer befiehl, wir folgen Dir!". Dies ließ keinen Platz für persönliche Freiheit und Entfaltung sondern nur für Unterordnung und Anpassung. Bis zum Kriegsende herrschte die Furcht vor Gestapo und KZ allerdings auch bei vielen Neidenburgern vor, und manch ein "Volksgenosse" wurde "abgeholt" und verschwand, weil er über das Unrecht redete, einen Feindsender gehört hatte, als "Judenfreund" oder als Sympathisant von Regimegegnern bekannt war oder als solcher denunziert wurde, oder Geschäfte mit Polen machte. Dass man im KZ die Juden sogar "vergaste", war selbst für viele Kinder in der Schule und im Jungvolk kein Geheimnis, über das man allerdings nicht offen sprach. Über Klassenkameraden, die plötzlich nicht mehr in der Schule erschienen, wurde hinter der "vorgehaltenen Hand" gemunkelt, dass sie doch Juden seien, was bis dahin ohne jegliche Bedeutung und Interesse gewesen war. Kriegsgefangene, "Fremdarbeiter" und "Nichtarier" konnten selbstverständlich erschossen werden, wenn sie gegen nationalsozialistische Gesetze und Vorschriften verstießen oder flüchteten. Den Gerüchten von der Euthanasie, dem Töten "lebensunwerten Lebens", schenkte man entweder keinen Glauben oder aber ein gewisses Verständnis für die "Erlösung von einem unmenschlichen Leben". Erst viele Jahre später wurde bekannt, dass es auch im 23 Kilometer entfernten Soldau ein "Krüppelheim" gab, in dem geistig oder körperlich Behinderte "erlöst" wurden. Außerdem gab es in Soldau ein sogenanntes Durchgangslager, in dem Polen, Juden und Litauer misshandelt und erschossen wurden. Im August 1941 brach im Lager eine Fleckfieberepidemie aus, "zu deren Bekämpfung etwa 600 erkrankte Häftlinge exekutiert werden mussten", wie einem Untersuchungsbericht des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 18. Februar 1943 (liegt dem Verfasser vor) zu entnehmen ist. Die "Untersuchung" der Vorkommnisse im Soldauer Lager diente dazu, die Verantwortlichen (SS-Brigadeführer Dr. RASCH; SS-Hauptsturmführer Dr. Schlegel, SS-Hauptsturmführer Hans Krause und SS-Unterscharführer Robert Holdack) letztendlich von jeder persönlichen Schuld freizusprechen. Und all dies lasteten die meisten Volksgenossen keineswegs ihrem geliebten Führer an, sondern "außer Kontrolle geratenen SA-Trupps oder einzelnen kriminellen, gemeinschaftsschädlichen Individuen, die auf der Welle der nationalsozialistischen Bewegung und des Umbruchs mitschwimmen". Schließlich waren in dieser Atmosphäre der Bespitzelung und Denunziation keine Grenzen gesetzt, und das Misstrauen breitete sich bis in die Familien aus, denn wer wollte schon einen Volksschädling dulden oder gar einer sein? Von Demokratie und freiheitlichen Grundrechten hatten die Deutschen, und vor allem die Ostpreußen unter Jahrhunderte langer Feudalherrschaft, ja keine Ahnung, bestenfalls negative Erfahrungen aus der Weimarer Zeit. Bei Kriegsbeginn 1939 lebten in der Stadt Neidenburg 9.201 Einwohner.Im Januar 1945 waren es nur noch einige wenige, die vor der Roten Armee nicht geflüchtet waren. Die meisten von Ihnen wurden von der siegestrunkenen Sowjetsoldateska, die mit Neidenburg in den Abendstunden des 19. Januar 1945 ihre erste deutsche Stadt im Süden Ostpreußens eroberte, erschossen, vergewaltigt, erschlagen (Lew Kopelew, AUFBEWAHREN FÜR ALLE ZEITEN, Hamburg, 1975).tAuf dem Sportplatz wurden in den ersten Nächten viele Soldaten und Zivilisten und sogar russische und französische Kriegsgefangene  zusammengetrieben, erschossen und dort irgendwo verscharrt, wie eine deutsche Augenzeugin später berichtete. Beim Einmarsch der Sowjetischen Truppen in die Stadt am Abend des 19. Januar 1945 waren nur einige wenige Gebäude durch vorangegangenen Beschuss beschädigt. Einige Tage danach zerstörten die Sowjets die meisten Gebäude, indem sie sie in Brand setzten, beschossen und spektakulär sprengten. Diese Zerstörungsmaßnahmen wurden von den sowjetischen Kriegsberichterstattern fotografiert und gefilmt, um zu dokumentieren, welche schweren Schlachten die Sowjetarmee auf deutschem Boden zu bestehen hatte. Auf diese Weise wurde die Stadt Neidenburg ein Opfer der sowjetischen Militärpropaganda, wie ein polnischer Zeitzeuge später berichtete. 


Deutsche Straße

Friseursalon von Franz Mallek


Dabei hat es um Neidenburg überhaupt keine Kämpfe gegeben, weil die deutschen Truppen sich fluchtartig nach Westen abgesetzt hatten. Durch das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 wurde die Provinz Ostpreußen in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 polnischer und sowjetischer Verwaltung mit dem Vorbehalt unterstellt, dass diese Regelung bis zu einem Friedensvertrag Gültigkeit haben soll. 

Hindenburgstraße 

Geschäft von Karl Orlau

Die Sowjetunion annektierte den nördlichen Teil Ostpreußens und Polen den südlichen. Damit war die deutsche Provinz Ostpreußen von der Landkarte Europas verschwunden. Die ehemaligen deutschen Namen der Städte und Dörfer wurden polonisiert oder umbenannt. Aus Neidenburg wurde Nidzica. Am Ende des historischen Weges dieses Landes und dieser Stadt durch die Jahrhunderte blieben ein blutgetränkter Boden, geflüchtete, vertriebene, entwurzelte, traumatisierte Menschen, zerstörte Städte und Dörfer und vernichtete Kulturdenkmäler. Es kamen neue Bewohner, viele von ihnen auch aus ihrer Heimat vertrieben. Für die meisten von ihnen war es ein fremdes Land. Sie gingen daran, es mit ihren Ressourcen wieder aufzubauen, anfangs in der Sorge, dass sie daraus auch wieder vertrieben werden könnten. Die friedliche Koexistenz seit Anfang der siebziger Jahre und schließlich das Ende des real existierenden Sozialismus, das Heimweh der Flüchtlinge und Vertriebenen und die Bereitschaft vieler ehemaliger Bewohner dieses Landes einerseits und seiner gastfreundlichen jetzigen Bewohner andererseits, sich gegenseitig zu akzeptieren, haben zumindest bei vielen Deutschen zu einem neuen, anderen Denken von Heimat geführt:
"Heimat ist nicht ein Ort sondern ein Gefühl"

Marktplatz Ostseite vor 1945

Markplatz Ostseite 2004

Die Neidenburg 1961

Die Neidenburg 1981

Das Rathaus vor 1945

Das Rathaus 2006


Manches, was die neuen Bewohner in Ostpreußen und Neidenburg nach alten Vorbildern wieder aufgebaut haben oder noch aufbauen, hält die Erinnerung wach und macht die Vergangenheit lebendig.  Möge es daher noch lange bestehen und erhalten bleiben - als Kulturerbe der Menschheit.

(Quellenangaben in Salewsky, F. BERNSTEINE und TRILLERPFEIFEN, Aachen 1979)

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Was von Neidenburg übrig blieb
- 62 Jahre danach -
Drei Neidenburger Freunde machten sich auf nach Nidzica, um zu erkunden, was von ihrer alten Heimatstadt Neidenburg nach rund 62 Jahren noch übrig geblieben war. Eine Woche lang zogen sie durch die Straßen und Gassen der Stadt, suchten und fotografierten alles, was noch an das Neidenburg ihrer Kinderzeit erinnert. Es ist nicht mehr allzu viel! Die ehemals sozialistischen Plattenbauten ebenso wie die Neubauten am Markt, die nach alten Vorbildern auf den 1945 teilweise zerstörten Häusern errichtet wurden und viele weitere moderne Gebäude mehr haben die alte Bausubstanz verdängt. Wo jene alten Häuser aber noch vorhanden sind, zeigt der Zahn der Zeit seine deutlichen Spuren. Von den rund 440 Fotos, die in diesen Tagen aufgenommen wurden, soll mit Rücksicht auf den hier zur Verfügung stehenden Platz nur ein kleiner Teil dargestellt werden. Die Idee dabei ist, dass wir diesen Bildern keine Erklärungen beifügen, sondern sie - gewissermaßen als Quiz-Fragen - nummeriert zeigen wollen und hoffen, dass viele Neidenburger sich erinnern und uns mitteilen, um welche Gebäude es sich handelt - oder sie ganz einfach nur betrachten. Interessierten Lesern senden wir gerne die komplette Liste der ausgewählten Bilder alter Neidenburger Gebäude auf Wunsch zu. Daneben haben wir natürlich auch weitere Besonderheiten festgehalten. So zum Beispiel auf dem großen Neidenburger Friedhof die Grabstätte von Otto Kniess und eine Gedenktafel für die hier ruhenden Neidenburger vor 1945. Zur Erinnerung: Otto Kniess und besonders sein Sohn Gerhard zählen zu den wichtigsten Bewahrern der Neidenburger Geschichte. Aber auch sehr banale Erinnerungsstücke fanden unsere Aufmerksamkeit, unter anderem ein gusseiserner Kanaldeckel auf der Schulstraße mit der Aufschrift „SCHEVEN DÜSSELDORF“, der seit mehr als 80 Jahren dort liegt (Made in Germany!). Schließlich begeisterte die drei „Lorbasse“ der Blick über die Stadt von dem neuerrichteten Turm des Rathauses aus. Das mit roten Dachpfannen neu eingedeckte Dach des gesamten Rathausgebäudes und der neue Turm haben die alten Blechplatten und den unansehnlichen und stillosen Turm der vergangenen Jahre abgelöst. Die Höhe und Neigung des Daches sowie die moderne Gestaltung des Turms mit seinen PVC-Fensterrahmen sind zwar nicht ganz die, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg entworfen und errichtet wurden. Dennoch ist der Versuch einer Rekonstruktion - mit Hilfe von EU-Mitteln - anzuerkennen. Auch das gesamte Obergeschoss des Rathauses wurde im Rahmen dieser Restaurierung ausgebaut. Eine massive Wendeltreppe führt von hier aus in den Turm, der jedoch für den allgemeinen Publikumsbesuch nicht freigegeben ist. Unseren Zugang hat man freundlicherweise ermöglicht, wofür wir an dieser Stelle nochmals herzlich danken möchten. Bleibt schließlich zu hoffen, dass eines nicht zu fernen Tages die finanziellen Mittel zur Renovierung der Fenster und der Fassade des Rathauses, das doch auch zu den erhaltenswerten Resten der alten Stadt Neidenburg zählt, zur Verfügung stehen. 
Dass im Bereich der ehemaligen Mauerstraße prähistorische Grabungen vorgenommen werden, wussten die drei „Spurensucher“ schon längst. Hier befasst sich eine Gruppe von Archäologen seit längerem mit der geschichtlichen Erforschung unserer Heimat. Sie beschäftigen sich insbesondere mit Ausgrabungen frühzeitlicher Siedlungsanlagen innerhalb der östlichen Straßenfront der Altstadt. Es wurden bereits Keramik, Gefäßfragmente, Feuersteinwerkzeuge und bronzene Gegenstände aus der Kulturschicht der Hallstattzeit/Latène-Zeit (etwa um 800-500 v. Chr.) gefunden. Intention dieser Forschungsarbeiten ist nicht vorrangig der Versuch, die polnische Geschichte unserer Heimatstadt und ihrer Umgebung zu beweisen, wie manch einer vielleicht vermuten möchte, sondern ganz einfach das wissenschaftliche Bestreben, verschüttete - im wahrsten Sinne des Wortes - historische Fakten ans Licht zu bringen. Darüber berichtete die Zeitung „Głos Nidzicki“ [Stimme Neidenburgs]. Sicherlich ist vielen Neidenburgern dieser frühe Geschichtsabschnitt unserer Heimat weitgehendst unbekannt. Die alte NEIDENBURG hat sich dagegen erfreulicherweise nicht verändert. In ihr findet man noch immer das relativ schwach besuchte „Hotel Gregorovius“ mit seinen 25 Zimmern und das rustikal gestaltete Restaurant unter dem Rittersaal. Touristische Besucherströme waren in diesen Tagen nicht zu beobachten. Dabei ist doch die NEIDENBURG („die mächtigste masurische Burg in der Form einer typischen Wehranlage“ nach Benno Dibowski in www.masuren-report.de) im Süden Ostpreußens das einzige, erhalten gebliebene Wahrzeichen der Erinnerung an den Deutschen Ritterorden, der dieses Land 1234 durch die päpstliche Bulle von Rieti zum „ewigen Besitz“ erhielt. So ist die Frage doch wohl berechtigt: Müsste die NEIDENBURG als eine der ältesten und besterhaltendsten Burgen des Deutschen Ritterordens nicht auch zum Weltkulturerbe der Menschheit gehören und in die Liste der von der UNESCO erfassten Kulturdenkmäler aufgenommen werden? Diese Frage hat der Verfasser schon einmal mit einer E-Mail an das World Heritage Committee (WHC) gerichtet. Die Initiative dazu müsste allerdings von autorisierter Stelle ergriffen werden. „Das Komitee betrachtet ein Gut als von außergewöhnlichem universellem Wert, wenn das Gut einem oder mehreren der folgenden Kriterien entspricht". Dieses zweifellos schutzwürdige Objekt dürfte zumindest eines der sechs nachfolgend genannten Kriterien des WHC erfüllen:
Die NEIDENBURG 
• ist von einzigartigem künstlerischen Wert, 
• übt einen starken kulturellen Einfluss auf eine Region oder Epoche aus, 
• ist von großem Seltenheitswert oder Alter, 
• ist für eine bestimmte künstlerische Entwicklung beispielhaft, 
• steht für eine bestimmte Architekturepoche oder 
• ist bedeutungsvoll im Zusammenhang mit herausragenden Ideen oder historischen Gestalten.

Fotos: Wilfried Schild, Text und Layout: Franz Salewsky, Wolfgang Gehrke † , Mai 2007
Nachtrag: Der vorstehende Bericht ist im Neidenburger Heimatbrief, Nr. 130 - Pfingsten 2008, Seite 80 ff., abgedruckt. Der Schriftleiter hat leider die E-Mail-Adresse fehlerhaft und die Internet-Adresse nicht veröffentlicht. Den vielen Anrufern/Hinweisgebern dagegen möchte ich ganz herzlich danken.